Kein schmerzverzerrtes Gesicht, sondern ein lustiger Soldat. Die Nachfolger-Website der LiveLeak-Macher will mit unblutigen Handyvideos punkten. Screenshot: itemfix.com
Verkehrsunfälle, Enthauptungs-Videos, blutige Schlägereien: Die Schockvideo-Website LiveLeaks verbreitete 15 Jahre lang die schlimmsten User-Clips. Doch dann kam die Kehrtwende.
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Wenn irgendwo in der Welt Fürchterliches passierte, zeigte LiveLeaks Handyaufnahmen aus erster Hand.
«Blutige Bilder, rohe Gewalt und Leichen: LiveLeak lebte vom Gewaltvoyeurismus der Nutzer, zeigte Unfälle unverpixelt, stellte Clips von brutalen Prügeleien online und schreckte auch vor Tötungsvideos nicht zurück.»
«Ein Ende des Schreckens», kommentiert spiegel.de. Und meint damit den Fakt, dass die berühmt-berüchtigte Website geschlossen wurde. Freiwillig, angeblich. Von den Machern selbst, die nun auf unblutige Viral-Hits setzen.
Wer liveleaks.com aufruft, landet bei itemfix.com. Ein erster Augenschein zeigt, dass die Website tatsächlich jugendfrei ist und lustige Grimassen zeigt statt Schmerz und Leid.
Die Macher schreiben:
«ItemFix ist eine Seite für Kreativität und Spass. Wir wissen, dass Menschen die Möglichkeit brauchen, sich auszudrücken und erkennen die Wichtigkeit dessen an.»
ItemFix.com
Warum wurde LiveLeaks geschlossen?
Auf itemfix.com hat Hayden Hewitt, einer der Mitgründer der Schockvideo-Plattform LiveLeaks (LL), eine längere Stellungnahme veröffentlicht. Darin heisst es:
«Nichts währt ewig, und – wie schon vor vielen Jahren – hatten wir das Gefühl, dass LiveLeak alles erreicht hat, was es konnte, und es war Zeit für uns, etwas Neues und Aufregendes zu versuchen.
Die Welt hat sich in den letzten Jahren sehr verändert, das Internet ebenso, und wir als Menschen. Ich sitze hier und schreibe dies mit einer Mischung aus Traurigkeit, weil LL nicht nur eine Webseite oder ein Geschäft war, sondern eine Lebensweise für mich und viele der Jungs, aber auch mit echter Aufregung über das, was als nächstes kommt.»
screenshot: itemfix.com/ll
Bei Twitter reagierte Hewitt auf die Äusserungen von LiveLeaks-Fans, die sich enttäuscht zeigten von der jähen Schliessung der Schockvideo-Plattform. In einem Tweet wird angedeutet, dass die Finanzierung ein Hauptgrund war. So schreibt der LiveLeak-Mitgründer, die Betriebskosten hätten nicht (mehr) mit Spenden gedeckt werden können.
Von Terroristen und Rechtsextremem missbraucht
LiveLeak war keine US-amerikanische Erfindung, ihre Macher kamen ursprünglich aus Grossbritannien.
Erstmals gross in den Fokus der Öffentlichkeit geraten sei LiveLeak im Gründungsjahr 2006, hält spiegel.de fest. Dies wegen der Hinrichtung des irakischen Diktators Saddam Hussein. Während die meisten europäischen Medien darauf verzichtet hätten, die Exekution zu zeigen, sei bei LiveLeak ein Galgen-Video in voller Länge zu sehen gewesen.
Das durch User-Spenden und Online-Werbung finanzierte Gratis-Portal habe sich bei seinem Start in eine Riege von Schock-Websites wie Rotten.com eingereiht.
Der Slogan lautete «Redefining the media» (auf Deutsch: Medien neu definieren). Gegründet wurde das Portal im Oktober 2006 als Nachfolger der Internetseite Ogrish.com.
«Lieblingsseite des Islamischen Staats für Enthauptungsvideos.»
LiveLeak sei aufgrund des teilweise brutalen und schockierenden Filmmaterials von Beginn weg umstritten gewesen, weiss Wikipedia. Bereits der Vorgänger Ogrish sei vor allem durch Videobeiträge über Kriegsgräueltaten, Verbrechen und Autounfälle aufgefallen.
Am 27. März 2008 veröffentlichte der rechtspopulistische niederländische Politiker Geert Wilders seinen islamkritischen Kurzfilm Fitna in zwei Versionen auf LiveLeak, nachdem kein Fernsehsender das umstrittene Werk ausstrahlen wollte.
Der 15-minütige Film wurde binnen einer Stunde über eine Million Mal abgerufen, doch nach ernsten Drohungen aus Sorge um das Leben der Mitarbeiter entfernt und durch eine offizielle Stellungnahme ersetzt. Wenige Tage später war Fitna aber wieder bei LiveLeak verfügbar.
Hayden Hewitt habe die Radikalität seines Portals stets verteidigt, ruft spiegel.de in Erinnerung. «Am Ende haben wir als Webmaster ein gewisses Mass an Verantwortung», schrieb er 2008 in einem Blogbeitrag. «Aber letztendlich sind Erwachsene selbst dafür verantwortlich, was sie sehen wollen, und Eltern dafür, ihre Kinder zu beaufsichtigen.»
Gedenkfeier für den von islamistischen Terroristen getöteten US-Journalisten James Foley.archivBild: EPA
Tatsächlich missbrauchten Terroristen die Plattform für ihre Zwecke. Auf liveleak.com wurde 2014 ein Propagandavideo veröffentlicht, das die Enthauptung des US-Journalisten James Foley zeigte. Das Magazin «Business Insider» bezeichnete LiveLeak im Zuge dessen als «Lieblingsseite des Islamischen Staats für Enthauptungsvideos».
Die Sorge, dass die Terroristen weitere Geiseln töten könnten, habe schliesslich dazu geführt, dass die »IS«-Clips gelöscht wurden. Auch Videos des Christchurch-Attentäters verbannte LiveLeak sechs Jahre später von der Website.
Trotz beachtlicher Zugriffszahlen von bis zu 20 Millionen Nutzern pro Monat habe LiveLeak nie die Dimension des hundertfach grösseren YouTubes erreicht. 15 Jahre nach der Gründung wurde nun am 5. Mai der Stecker gezogen.
Gemäss dem neuen Regelwerk (von itemfix.com) ist es verboten, Videos und Kommentare mit «gewalttätigem oder blutigem Inhalt» zu posten. Ausserdem sei es nicht erlaubt, jemanden zu animieren, Eigentum zu zerstören, oder Aktivitäten zu propagieren, die zu Verletzungen oder dem Tod führen. Und auch terroristische Inhalte seien tabu.
Quellen
- spiegel.de: Ein Ende des Schreckens
- wikipedia.org: LiveLeak
(dsc)
Fliegen Soldaten bald herum? Royal Marines mit Düsenjet-Anzug
Video: watson/jah
Polizeigewalt in Chicago: Elektroschocks in der Zelle
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Polizeigewalt in Chicago: Elektroschocks in der Zelle
Polizisten traktieren mit Elektroschockpistolen den Gefangenen Philip Coleman: Die Polizei in Chicago hat nun dieses Video veröffentlicht. Der Fall ereignete sich bereits im Dezember 2012 - aber die Aufnahme dürfte die Debatte über Gewalt von Polizisten in der Stadt befeuern.
quelle: epa/chicago police department / chicago police department / handout
UNO warnt vor Hungersnot in Jemen
Video: srf
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